Die Freimaurerloge zum Frieden (1810 – 1816) in Fulda vor dem Hintergrund der Entwicklung der Freimaurerei im 18. und frühen 19. Jahrhundert

Vortrag Geschichtsverein Fulda e.V. am 12.09.2019 im Kanzlerpalais von Eckard Wörner [1]


Foto von Eckard Wörner und Gerhard Möller
v.l.n.r. Eckard Wörner und OB a.D. Gerhard Möller

Sehr geehrter Herr Möller, [2]

sehr geehrter Herr Dr. Heiler, [3]

sehr verehrte Damen,

sehr geehrte Herren!

 

Im Jahr 2010 wurde nach genau 200 Jahren in Fulda wieder eine Freimaurerloge gegründet, dies warf nicht nur für die Mitglieder der neu gegründeten Loge sondern auch für eine historisch interessierte Öffentlichkeit Fragen nach der Herkunft der Freimaurerei sowie der im Jahr 1810 gegründeten und bis ins Jahr 1816 bestehenden Loge, nach deren Mitgliedern und deren gesellschaftlicher Wirkung auf.

 

Dr. Georg-Wilhelm Hanna hat das Verdienst, eine Studie vorgelegt zu haben, die sich vor allem auf einige wenige in Deutschland zugängliche Quellen, die Auskünfte über diese Fuldaer Freimaurerloge liefern, stützen kann. Diese fanden sich im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz in Berlin. Die Fuldaer Geschichtsblätter des Jahres 2017 haben den Beitrag von Dr. Hanna unter dem Titel "Durch den Schleier der Geschichte. Nikolaus Koch und die Fuldaer Freimaurer" zugänglich gemacht. Mit dem von der Bürgerschaftlichen Initiative heraus-gegebenen Sammelband "Wachse hoch Oranien" und der Monographie "Wilhelm Friedrich von Oranien-Nassau. Fürst von Fulda (1802-1806)" von Dr. Gudrun Vögler ist ein gut ausgeleuchteter Prospekt geschaffen worden, vor dem sich eine Logengründung in Fulda abzeichnen sollte.

 

Die nach Schlesien ausgelagerten Materialien wurden von der Roten Armee nach Moskau überführt. Im Jahr 1957 gelangten 1.400 laufendes Meter Archivgut Logenbestände an das Zentrale Staatsarchiv der DDR nach Potsdam und später nach Merseburg. Nach der Wiedervereinigung wurden diese Archivalien in Berlin vom Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz übernommen. Sie sind dort als Depositum mit Zustimmung der Großlogen oder einzelner Logen wissenschaftlichen Interessen zugänglich. Neben Beständen in anderen Archiven zeichnet sich der Bestand in Berlin-Dahlem alleine durch seinen Umfang aus.

Die Gründung einer Loge in Fulda im Jahr 1810 ist - betrachtet man die Geschichte der Freimaurerei – eine späte Gründung. Vom Tage der Gründung einer Großloge von London und Westminster und der Wahl eines Großmeisters aus ihren Reihen in der Taverne "Goose and Gridiron" (Zur Gans und zum Bratrost) Johanni 1717 von vorerst vier Logen und der Annahme einer Verfassung im Jahr 1723 hatte sich die Freimaurerei bis zum Jahr 1810 in Europa, in Amerika und an den Enden der langen Arme des europäischen Kolonialismus längst festgesetzt. Bereits 1725 wird ein erstes Mitglied eines regierenden deutschen Hauses, Prinz Albrecht Graf v. Schaumburg Lippe, im Mitgliederverzeichnis einer Londoner Loge genannt, im selben Jahr 1725 erfolgte die Gründung einer Großloge von Irland und ebenfalls im Jahr 1725 die Aufnahme der Arbeit einer Loge in Paris. 1730 folgt die erste englische Provinzial-Großloge in Nordamerika, ferner im selben Jahr die Einrichtung einer Loge im später Kalkutta genannten Fort William auf dem indischen Halbkontinent. 1731 erfolgt die Aufnahme des Herzogs Franz Stephan von Lothringen, nachmals Kaiser Franz I., ebenfalls die Aufnahme Benjamin Franklins in Virginia. Für das Jahr 1737 wird Errichtung der ersten deutschen Loge in Hamburg überliefert. 1738 wird der Hohenzollernprinz Friedrich, der als König Friedrich II. eine preußische Großloge fördern sollte, als Mitglied aufgenommen.

 

Was machte die große Attraktivität der Freimaurerei aus, die ihr zu solch schneller Verbreitung verhalf? Die Traditionen der Steinmetzgilden, die ab Mitte des 14. Jahrhunderts in England und Schottland nachweisbar sind, der Schutz ihrer alten Gebräuche und ihrer Geselligkeitsformen machten sie für Außenstehende anziehend. Schon in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts werden in diese Societies of Freemasons, wie sie von da an heißen sollten, dann mehr und mehr Männer aufgenommen, die in keiner Beziehung zur Werkmaurerei standen, sie werden als accepted masons - also angenommen Freimaurer - in ihren Verzeichnissen geführt. Bereits im Jahr 1670 unterschreiben 59 angenommene Freimaurer die neue Satzung der Loge in Aberdeen, es finden sich nur noch sieben weitere Unterschriften von Werkmaurern.

 

Durch die Gründung einer ersten Großloge von London und Westminster Johanni 1717 wurde es notwendig, die ihr angeschlossenen Logen auf eine gemeinsame Programmatik zu verpflichten. Im Jahr 1723 erscheinen die Charges of a Free-Mason, in Deutschland allgemein Die Alten Pflichten genannt. Verfasst wurden sie von James Anderson, einem Prediger der Kirche der schottischen Prespyterianer in London. Auftraggeber war der erste adelige Großmeister, der zweite Herzog von Montagu, Mitglied der Royal Society, der auch am Hof eine große Rolle spielte. Diese Charges of a Free-Mason wurden in der Zeitung Post Boy angekündigt und zum freien Verkauf gestellt. Das Programm formulierte zum einen eine Hausordnung für das Verhalten der Maurer innerhalb und außerhalb der Loge, zum anderen werden grundsätzliche Erwartungen, die an ein Logenmitglied zu stellen sind, formuliert.

 

So heißt es Von Gott und der Religion im I. Hauptstück: "Der Maurer ist durch seinen Beruf verbunden, dem Sittengesetz zu gehorchen, und wenn er seine Kunst recht versteht, wird er weder ein dummer Gottesleugner noch Wüstling ohne Religion sein. Aber obgleich in alten Zeiten die Maurer verpflichtet waren, in jedem Land von der jedesmaligen Religion des Landes oder der Nation zu sein, so hält man doch jetzt für ratsam, sie bloß zu der Religion zu verpflichten, in welcher alle Menschen übereinstimmen und jedem seine besondere Meinung zu lassen, das heißt sie sollen gute und wahrhafte Männer sein, Männer von Ehre und Rechtschaffenheit, durch was für Sekten und Glaubensmeinungen sie auch sonst sich unterscheiden mögen."

 

Von den operativen Maurern und Steinmetzen entliehen die spekulativen Maurer, die "acceptet masons", die Werkzeuge Hammer Zirkel, Winkel, Wasserwaage und Maßstab. Sie dienten aber jetzt nicht mehr der Herstellung eines Baurisses und eines Baues selbst, sondern symbolisch aufgeladen der Vervollkomnung des Menschen. Dass der Freimaurer weder "ein engstirniger Gottesleugner noch ein Wüstling ohne Religion sein" soll, entspricht dem Deismus, den religionsphilosophischen Auffassung der Aufklärung in jener Epoche.

 

Die historischen Bauhütten waren einer strengen Verschwiegenheit in Bezug auf ihre Kenntnisse der Geometrie und die Anwendung auf die Architektur unterworfenen. Diese Kenntnisse gingen zurück auf den römischen Architekten und Schriftsteller Vitruv, der im ersten Jahrhundert v. Chr. lebte. Dieses Wissen – als Bauhüttengeheimnis streng gehütet – haben insbesondere die Dombauhütten eine besondere Attraktivität verliehen. Die Achtung vor den Traditionen der Bauhütten führte nicht nur zur Übernahme von Erkennungszeichen, die Nutzung der Begriffe Lehrling und Meister, einer spekulativen Nutzung der Werkzeuge, sondern auch zu einer fiktiven Versammlung einer Bauhütte, die Kern jeder freimaurerischen Arbeit der nicht mehr operativ arbeitenden Freimaurer bis heute ist.

 

Dass das Erhabene und das Alltägliche auch in der Freimaurerei nahe beieinander liegen, belegt eine Karikatur von William Hogarth aus dem Jahr 1738, die drastisch verdeutlicht, dass die Freimaurerei in der Mitte der Londoner Gesellschaft zwanzig Jahren nach der Gründung der ersten Großloge angekommen war. Ich zitiere aus dem Katalog einer Ausstellung der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst im Jahr 1980 in Berlin: "Im Vordergrund wird ein betrunkener Freimaurer [Meister], kenntlich an Schurzfell und Winkelhaken nach Hause begleitet. Hut und Perücke sind verrutscht, das Gesicht in Rage und der Stock drohend erhoben. Den Degen hat man ihm abgenommen, um zu verhindern, daß er weitere Händel sucht und sich dabei mehr einhandelt als die paar Schrammen an der Stirn.“ Es soll sich um das Porträt des Richters Sir Thomas de Veil handeln der „so strikt in der Verurteilung der Trunksucht [war], daß man ihm eines Tages sein Haus in Flammen setzte …" Die Subskriptionsannonce dieser Karikatur erschien "… mit dem Tage des Gerichtsverfahrens gegen einen Roger Allen, angeklagt der Anstiftung eines Aufruhrs vor dem Hause de Veils ...".

 

Die Freimaurerei war nicht nur im Vereinigten Königreich sondern auch auf dem Kontinent bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts allgegenwärtig geworden. Dies musste das öffentliche Interesse erregen, verbunden mit dem Wunsch, das Innere des Logenlebens zu erforschen. Obwohl die Freimaurer verpflichtet waren, ihre Erkennungszeichen und ihre Rituale e geheim zu halten, so wie es auch bei den Bauhütten und Zünften allgemein üblich war, und alle Texte, oder Wechselgespräche, die den Verlauf einer Logenarbeit ausmachen, auswendig vorzutragen, gelangten früh Schriften darüber in die Öffentlichkeit. Zum einen waren es Niederschriften, die sich Freimaurer als Gedächtnisstütze anfertigt hatten und in geschäftstüchtige Hände gefallen waren. Zum anderen wurden sie zum Zwecke einer Skandalisierung der Freimaurerei und deren Beschädigung in Verkehr gebracht.

 

Die erfolgreichste dieser Verräterschriften erschien ab dem Jahr 1742, zuerst in französischer Sprache, dann wenige Jahre später deutsch, niederländisch und englisch. Der mit falschem Namen agierende Herausgeber dieser Schrift, deren Wortlaut einer Loge angeblich heimlich abgelauscht worden sein soll, war in Wirklichkeit der Engländer George Smith. Er war 1742 in die Loge Aux troi Compas in Leipzig aufgenommen worden. In Preußen hatte er unter Friedrich II. das Kriegshandwerk erlernt, er wechselte in niederländische Dienste, er starb – als Verräter unerkannt – in England. Die Veröffentlichung freimaurerischer Rituale betrieb er offensichtlich als einträgliches Geschäftsmodell. Smith folgte aber nicht dem Ziel einer Beschädigung der Freimaurerei, was in seinen den Freimaurern wohlwollenden Vorworten zu den "verratenen" Texten zum Ausdruck kommt.

 

Diese Verräterschriften trugen häufig reißerische Titel wie "Der verrathene Orden der Freymaurer" - oder in einer französischen Fassung "Le macon démasqué". Letztlich trugen sie unfreiwillig zur Entmystifizierung der Freimaurerei bei und machten allen Interessierten die Rituale zum Gebrauch zugänglich. Der französischen Religionswissenschaftler Albert Lantoine tritt noch Mitte des vergangenen Jahrhunderts dem Verdacht, man habe es bei den Freimaurern mit einer Gemeinschaft von Verschwörern zu tun mit der Bemerkung entgegen: "La Franc-Maconerie n‘est pas une société secrète mais une société discrète" - also keine geheime sondern eine verschwiegene Gesellschaft. Der in Lyon in die Freimaurerei aufgenommene Giacomo Casanova spielt die Bedeutung eines Verrates mit den Worten herunter: "Alles, was in der Loge geschieht, muß geheim sein, aber diejenigen, welche in übelhafter Indiskretion keine Skrupel empfunden haben, auszuplaudern, was in der Loge geschieht, haben das Wesentliche nicht enthüllt. Wie hätten sie es enthüllen können, da sie es selbst nicht kannten? Wenn sie es gekannt hätten, hätten sie die Zeremonien nicht enthüllt."

 

Die Freimaurerei hätte ausgehend von den in England verfochtenen Grundsätzen, die sich auf die Sittengesetze und eine Religion, in welcher alle Menschen übereinstimmen, ihren Siegeszug fortsetzen können. Eine solche von England begründete humanitäre Zielsetzung der Freimaurerei gelangte im Jahr 1733 auf deutschen Boden nach Hamburg. Der englische Großmeister Earl of Strathmore genehmigte elf deutschen Gentlemen die Errichtung einer Loge in Hamburg, die den humanitären englischen Zielsetzungen folgte.

 

Einer solchen Verbreitung in ganz Europa standen aber die Ungleichzeitigkeiten der gesellschschaftlichen Enwicklungen entgegen. In Frankreich im Ancien Regime steht die Freimaurerei zuerst zwischen Verbot und Duldung. Trotzdem werden viele Logen gegründet, die sich unter einer christlichen Großloge zusammenfinden. Die nach Frankreich geflüchteten Stuarts, denen der englische Thron keine Messe Wert war, lebten dort im Exil und trachteten die englische Krone wieder zu gewinnen. Eine politische Instrumentalisierung einer schnell wachsenden christlich-französischen gegen eine "häretisch" englische Maurerei ist naheliegend.

 

Die Gedankenwelt einer christlichen Freimaurerei präsentiert uns der aus Schottland stammende Andrew Michael Ramsay. Vorerst am Hofe des katholischen Thronprätendenten Jakobs III. 1724 in Rom als Erzieher des dreijährigen Prinzen Karl Eduard beschäftigt. Noch danach in England zum Freimaurer aufgenommen, sollte er zum Begründer einer Freimaurerei werden, die ihren Ursprung auf die Ritterorden der Kreuzzüge zurückführte. Am 21. März 1737 trug er als Redner der christlichen Großloge von Frankreich sein Konzept in einem "Discour" vor, der für eine christlich orientierte Freimaurerei grundlegend werden sollte.

 

Ramsey erwartet vorerst von den Freimaurern "Humanität, reine Sittlichkeit, unverbrüchliche Verschwiegenheit und Geschmack an den schönen Künsten". Wesentlich ist aber, dass er die Freimaurerei einer erweiterten historischen Gründungsgeschichte unterwirft. "Unsere Vorfahren, [also der Freimaurer] die Kreuzfahrer, welche aus allen Teilen der Christenheit im heiligen Land zusammengefunden hatten, wollten so die Menschen aller Nationen in eine einzige Bruderschaft vereinigen. … Zur Zeit der Kreuzzüge nach Palästina vereinten sich mehrere Fürsten, Adlige und Bürger und taten ein Gelübde, die christliche Kirche im Heiligen Land wiederherzustellen … Sie verständigten sich über mehrere alte Zeichen und aus der Religion entnommene symbolische Worte, um sich daran vor den Ungläubigen und Sarazenen zu erkennen."

 

Mit diesen Mutmaßungen begründet Andrew Michael Ramsey die Legende, nach der sich eine von den Ordensrittern der Kreuzzüge abgeleitete Freimaurerei sich als Orden organisierte. Dieser neue Orden sei zwar an verschiedene Orte in Europa zurückgebracht worden, doch, schreibt er, "erhielt er sich unter den Schotten in seinem Glanz, welche unsere Könige während mehrerer Jahrhunderte ihre geheiligte Person anvertrauten".

 

Diese Legende wurde nicht nur wirksam in Frankreich, sie wurde auch mit dieser neuen Freimaurerei, die nicht nur die Grade Lehrling, Geselle und Meister kannte, sondern auch über Rittergrade und ein gesondertes Kapitel verfügte, in die französischen Kolonien in der Karibik und von da auf den nord-amerikanischen Kontinent exportiert. Damit war eine Freimaurerei geschaffen, die von den Mitgliedern der höheren Grade gelenkt wurde. Die von James Anderson im Auftrag der ersten Großloge formulierten "Basic Principles" – in Deutschland als "Die Alten Pflichten" bekannt – waren durch ihre Verpflichtung auf das christliche Ritterwesen auf den Kopf gestellt.

 

Diese Entwicklung der Freimaurerei blieb aber nicht auf Frankreich und seine kolonialen Ableger in der Karibik beschränkt, sondern sie erreichte mit Macht die deutschen Territorien. Betrieben hat diese Entwicklungen Karl Gotthelf Reichsfreiherr von Hund, der einem schlesischen Geschlecht entstammte, Sohn eines Kursächsischen Kammerherrn, der über einen erheblichen Grundbesitz verfügte. Er begründete einen freimaurerischen Ritterorden, der sich als nicht unterbrochenes Kontinuum, wie bereits bei Ramsay vorgezeichnet, in Schottland erhalten habe. Hund behauptete, im Jahr 1742 am Hofe des Thronprätendenten Karl Eduard Stuart von einem Ritter "a penna rubra" [von der roten Feder] die Weihen des Templerordens empfangen zu haben, und zum "Heermeister" damit zum Provinzialgroßmeister einer siebenten Provinz des Templerordens ernannt worden zu sein.

 

Dem Ritter "Von der roten Feder" sei er auch vorgestellt worden. Dieser galt - so Hund - "den Eingeweihten als der höchste geheime Obere des Ordens, als der Oberste Großmeister und Träger der auf ihn überkommenen Templertradition". Hund legte später sogar noch ein in chiffrierter Schrift verfasstes Heermeisterpatent vor, das ihn in der siebenten Ordensprovinz einsetzte. Zwar wurde das Patent in späteren Jahren von seinen engsten Anhängern als "frommer Betrug" gesehen, während die zahlreich gewonnenen geringere Ordensbrüder im Glauben seiner Authentizität gelassen wurden.

 

Ob Hund ein Betrüger, ein betrogener Betrüger, ein naiver deutscher Adliger, der besessen die Geheimnisse hinter den Geheimnissen gesucht und einem bösen Scherz aufgesessen war, ist nie geklärt worden. Erfolgreich nutzte er den vorgeblichen Auftrag, den Orden der Templer wieder real erstehen zu lassen. Verbunden damit war auch, die wirtschaftliche Größe des Ordens, sich zum Vorbild zu nehmen. Damit besetzte er die Vakanz, die durch das Verbot des Templerordens und des Einzugs seines immensen Vermögens durch Philipp den Schönen, König von Frankreich, im Jahr 1307 entstanden war. Hund hatte großen Erfolg bei dem Aufbau seines Ordens, der vierzig Jahre bis 1782 – sechs Jahre über seinen Tod hinaus bestehen sollte. Die bereits auf dem europäischen Kontinent weit verbreitete Freimaurerei bot die Möglichkeit, neben Neugründungen viele bestehende Logen in den Orden einzubeziehen.

 

Dieser "Strikte Observanz" genannte Orden, bekräftigte sein Prinzip des Gehorsams noch durch Installation von geheimen Oberen. Hund gelang es, Mitglieder regierender Häuser für seinen Orden zu gewinnen. Herzog Ferdinand von Braunschweig (1721 -1792) wurde im Jahr 1763 zum Magnus superior ordinis per Germaniam inferiorem gewählt. Mit ihm gehörten zu diesem Zeitpunkt 26 deutsche Fürsten dem System an. Der Spuk währte, bis Zweifel der Mitglieder des Ordens zu dem Wilhelmsbader Konvent im Jahr 1782 in Wilhelmsbad bei Hanau führte. Einen Eindruck der Größe des Ordens vermittelt die Anzahl der Ordensprovinzen, die durch Abgesandte in Wilhelmsbad vertreten waren: Provinz Deutschland bis zum Baltischen Meer, Provinz Aquitanien, Provinz Italien, Provinz Burgund, Provinz Oberdeutschland und die Provinz Österreich. Die Leitung des Konvents unterlag Herzog Ferdinand von Braunschweig.

 

Aus dem Konvent ging ein bis heute bestehender Rektifizierter Schottischer Ritus hervor, der Orden insgesamt aber sollte in ein System der Ritter der Wohltätigkeit überführt werden. Dieses erwies sich aber nicht als überlebensfähig. In Deutschland wurde die Freimaurerei in eine Krise gestürzt, die zwanzig Jahre andauern sollte. Der Abschied, das Schlusscomuniqué, des Wilhemsbader Convents hielt aber mit Entschiedenheit im Paragraph II fest:

 

"Nachdem man verschiedene vorgelegte sehr emsige Nachforschungen über die Geschichte des Ordens der Tempelherren, von welchem man die Freymaurerey herleitet, in unseren Conferenzen untersucht und verglichen hat: so sind wir überzeugt worden, dass solche nichts weiter als Traditionen und Wahrscheinlichkeiten enthalten, und keineswegs solche begründete Wahrheiten, die Unser zuversichtliches Vertrauen verdienten, und Wir daher in keiner Maße Uns hinlänglich berechtigt fänden, Uns für die wahren und ächten Abkömmlinge der Tempelherren zu halten; ...". Dieser Beschluss kam nur mit einer knappen Mehrheit zustande, was vor allem die auf eine humanitäre Freimaurerei orientierten Vertreter enttäuschte.

 

Johann Wolfgang von Goethe, war auf seinen eigenen Wunsch noch zwei Jahre vor dem Wilhelmsbader Konvent in die zur Strikten Observanz gehörenden Loge Anna Amalia in Weimar aufgenommen worden und noch in dem auf das dem Konvent folgende Jahr - auch seinem Wunsch folgend - in den Inneren Orden der Ritter der Wohltätigkeit, der Nachfolgeorganisation der Strikten Observanz, der auch Herzog Ferdinand von Braunschweig vorstand, erhoben worden. Goethe schreibt in einem Brief seinem Freund aus Frankfurter Tagen, den Komponisten Philip Christoph Kayser, der die Präfektur Zürich bei dem Konvent vertreten hatte: "Ihr Aufenthalt in Wihelmsbad muß sehr interessant gewesen seyn. Die geheimen Wissenshaften haben mir nicht mehr noch weniger geben als ich hoffte. … Man sagt: man könne den Menschen beym Spiel am besten kennen lernen, seine Leidenschaften zeigten sich da offen und wie in einem Spiegel; so habe ich auch gefunden, dass in der kleinen Welt der Brüder alles zugeht wie in der großen, und in diesem Sinne hat es mir viel genutzt, diese Regionen zu durchwandern ..." Ich zitiere Goethe hier nach einem Aufsatz von Rainer von Hessen Der Wihelmsbader Freimaurerkonvent 1782 – Aufklärung zwischen Vernunft und Offenbarung.

 

Bissig kommentiert Adolph Freiherr Knigge (1752-1796) die Strikte Observanz, die "durch sinnliche Mittel einzuschläfern" und sich „auf den Fittigen einer wohltätigen Schwärmerei über die Welt hinaus zu erheben“ suche. Er wusste sehr wohl wovon er sprach; sein Vater hatte bereits einer Loge der Strikten Observanz angehört, er selbst wurde im Jahr 1773 in Kassel in die Loge Zum gekrönten Löwen -. eine ebensolche Loge - aufgenommen. Einer Karriere in diesem neuen Templerorden standen aber entgegen, wie er später schreibt: "Meine Naseweisigkeit, Jugend … Mangel an Subordinationsgeist, manche Unvorsichtigkeit in meinem Betragen, meine eingeschränkten häuslichen Umstände … Ich blieb immer Lehrling." Da er durch betrügerische Verwalter seines Erbes um sein Vermögen gebracht worden war, hätte er allein die mindestens 200 Reichstaler nicht aufbringen können, um in den Grad eines Tempelritters erhoben zu werden.

 

Rückblickend berichtet er aber auch von der Faszination, die hoch dekorierte Mitglieder bei ihm zu entfachen vermochten und „bey einer Flasche Wein, die Einrichtung aller Grade dieses Systems“ offenbarten, und in mir – wie er schreibt - "von den verborgenen Obern und Clericern große Vermuthungen zu erregen." Knigge hatte sich dem 1776 gegründeten Geheimorden der Illuminaten angeschlossen, der durch Schaffung eines Priestergrades und einer Synode dieser Priester „Hüterin eines Schatzes enzyklopädischer Weisheit“ werden sollte. Auch hier sollte wieder ein prominentes Personal vertreten sein, zu dem auch Goethe und sein Herzog gehören sollten. Dieser Orden fand schon 1785 durch innere Zerwürfnisse, Anfeindungen und ein Verbot des Kurfürsten Karl Theodor von Bayern ein Ende.

 

Damit waren aber die Turbulenzen, die die Freimaurerei im 18. Jahrhundert durchleben musste, nicht abgeschlossen. Zwischen Aufklärung und Offenbarung, oder auch Zwischen Aufklärung und Okkultismus wo Rainer von Hessen die Freimaurerei in jener Epoche verortet, etablierte sich noch eine weitere Legende, die es verdient genannt zu werden. Der französische hoch angesehene Gräzist Abbé Jean Terrason (1670 – 1750), Professor der griechischen Sprache am College de France und Mitglied. der Academie Francaise veröffentlichte im Jahr 1731 anonym einen auf die Erziehung von Prinzen gerichteten Bildungsroman, den er im alten Ägypten ansiedelte. Das Ganze sei ein aus dem Griechischen übersetzter Text, aus einer ausländischen Bibliothek aus der Regierungs-zeit Marc Aurels, wie er verunklärend vorausschickt.

 

Das Buch führte den Titel Sethos mit dem Zusatz Histoire ou vie, tirée des monuments, Anecdotes de l‘ancienne Égypte, Ouvrage dans lequel on trouve la description des Initations aux Mystère Égyptiens (Die Geschichte oder das Leben, gewonnen von Monumenten, Erzählungen des alten Ägyptens, Ein Werk in dem man die Beschreibungen der Initiationen in die ägyptischen Mysterien findet).

 

Bereits ein Jahr nach der Erstveröffentlichung im Jahr 1731 beginnt 1732 mit der Auslieferung der ersten Bögen die Veröffentlichung einer deutschen Übersetzung unter dem Titel Abriß der wahren Helden-Tugend oder Lebens-Beschreibung des Sethos aus Geheimen Urkunden des Alten Egypten-Landes gezogen. Der Übersetzer – Christoph Gottlieb Wend – war Librettist Telemanns und Händels in deren Hamburger Zeit. Eine weitere Übersetzung verfasste der im Jahr 1774 in die Hamburger Loge Zu den drei Rosen aufgenommene Matthias Claudius (1740 - 1815), sechs Jahre nach seiner Aufnahme. Das Original und beide Übersetzungen erlebten mehrere Auflagen. Der Roman Sethos sollte ein Lieblingsbuch des 18. Jahrhunderts werden.

 

Die besonderen erzieherischen Absichten des anonymen Übersetzers aber eigentlichen Autors, der den Text nur gefunden habe will, werden im Vorwort deutlich: "Die Fürsten, welche die Welt regieren, geben sich zwar selten mit Büchern ab; aber die Lehrmeister der Fürsten kennen die Wissenschaften in ihrem Ursprung und in ihrem Fortgange, und unterlassen nicht ihre Eleven mit den Grundsätzen der Moral und den Maximen der Gelindigkeit bekannt zu machen, die zu ihrer Zeit geltend sind." Terrasson nutzte "ägyptischen Mysterien", die von der hermetischen Philosophie in den ersten nachchristlichen Jahrhunderten imaginiert worden waren. Demnach lebten die ägyptischen Priester, die es vermochten vermittels der von ihnen genutzten Hieroglyphen – heiligen Zeichen – unmittelbar mit den Göttern in Kontakt zu treten.

 

Das Verständnis für diese Zeichen, die erst hundert Jahre später entschlüsselt werden konnten, sei allein den Eingeweihten gegeben. Das Fortleben dieser Priesterschaft in geheimen Räumen und Gängen unter den Pyramiden war Bestandteil dieses Mythos‘. Dieses phantastische von Priestern belebte Szenerie galten den Zeitgenossen als "authentische Artikulation ältester ägyptischer Theologie und Philosophie". Diese Auskunft ist einem Begleitband zu einer Ausstellung im Museum August Kestner im Jahr 2017 entnommen. Unter dem Titel "O Isis und Osiris – Ägyptische Mysterien und die Freimaurerei" standen in der Ausstellung und einem Begleitband Forschungen von Ägyptologen, die der Wirkungsgeschichte der von der hermetischen Philosophie aus-gehenden Deutung der altägyptischen Religion und Philosophie im Mittelpunkt.

 

Diese vermeintlichen altägyptischen Offenbarungen wurden Hermes Trismegistos, dem Götterboten und Vermittler zwischen Menschen und Göttern zugeschrieben, die im Corpus Hermeticum niedergelegt wurden. Diese esoterischen Schriften wurden ab Mitte des 15. Jahrhunderts auch in lateinischer Übersetzung im Geheimen von den Alchemisten zur Transformation von Metallen und Herstellung von Gold herangezogen. Die Übernahme von Elementen der hermetischen Philosophie in die Freimaurerei durch die für wahr gehaltene Erzählung des sehr angesehenen Gräcisten Terrason schuf endlich ein nicht mehr durchschaubares Agglomerat von Legenden und Mythen.

 

Es waren aber nicht nur die Freimaurer, die sich den Geheimnissen der Ägypter überließen, auch die literarische Welt, die Architektur und die Musik wurden im 18. Jahrhundert von einer stets wachsenden Ägyptomanie erfasst. Nicht unerwähnt darf bleiben, dass der erfolgreichste unter den vielen Hochstaplern des 18. Jahrhunderts, Graf Cagliostro, wie er sich nannte, sich diese Ägyptomanie zunutze machte. Er behauptete auf seinen Reisen von ägyptischen Priestern, die unter den Pyramiden wirkten, in deren Geheimnisse eingeweiht worden zu sein. Seine Aufnahme in die Freimaurerei ist zweifelhaft, trotzdem hatte er, wo immer er verkehrte, Zugang zu den Logen. 1775 hatte er bereits einen eigenen ägyptischen Ritus gegründet, der mit Versprechungen an seine Mitglieder aufwarte, zu denen viele Adelige und auch Freimaurer gehörten, deren Glauben daran mit Naivität nicht zu erklären ist.

 

Noch am Ende des Jahrhunderts sollten die beiden Freimaurer Emanuel Schikaneder als Librettist und Wolfgang Amadeus Mozart uns die auf den Roman Sethos basierende Oper Die Zauberflöte schenken. Die Erzählung Terrassons beschreibt das alte Ägypten als ein Land der Wissenschaften und des Rechts, in dem der junge Prinz, dem ein Orakel ein heldenhaftes Leben in Tugend voraussagt, eine umfassende Bildung und körperliche Ertüchtigung zuteilwerden. In Anklang an die zeitgenössische Kritik an der Mätressenwirtschaft versucht die zur Königin aufgestiegene Mätresse seines Vaters, Sethos dem Einfluss seines Erziehers zu entziehen, der seine alleinige Aufgabe darin sieht, dem jungen Prinzen Werte zu vermitteln, die ihn auf seine Aufgabe, ein gerechter König zu werden vorbereitet. Nicht zu trennen davon sind der Beweis von Mut und Selbstüberwindung. Die erste Sethos gestellte und glücklich vollbrachte Aufgabe ist deshalb die Tötung einer Schlange, die Land und Menschen in Angst versetzt. Tamino aber, der in der Zauberflöte Sethos ersetzt, fällt angesichts des Auftauchens der Schlange in Ohnmacht, er scheitert. Seine Tapferkeit wir erst hervorgerufen, als er das Bildnis Taminas in Händen hält und singt,

 

Ja, ja die Liebe ist‘s allein.-

O wenn ich sie nur finden könnte!

O wenn sie doch schon vor mir stände!

Ich würde – würde – warm und rein -.

Was würde ich? Ich würde sie voll Entzücken

an diesen heißen Busen drücken,

Und ewig wäre sie dann mein.

 

Die Prüfungen, denen Taminno unterworfen wird, folgen den Prüfungen, die in der Erzählung im Roman Sethos beschrieben werden. Dort heißt es: "Wer diesen Weg alleine geht, und ohne hinter sich zu sehn, der wird gereinigt werden durch das Feuer, das Wasser und die Luft; und wenn er die Schrecken des Todes überwinden kann, wird er aus dem Schoß der Erde wieder herausgehen, und das Licht wieder sehen, und er wird das Recht haben seine Seele zu der Offenbarung der Geheimnisse der großen Göttin Isis gefaßt zu machen." Dieses Geheimnis umschließt den Mythos nach dem Isis den getöteten und zerteilten Körper von Osiris, der sich in einer Akazie am Ufer des Nils verfangen hatte, ins Leben zurückholt. Schikaneder und Mozart greifen diesen Mythos im Schlusschor der Priester auf, wo sie der literarischen Vorlage, ohne ihr genau gefolgt zu sein, ihre Referenz erweisen.

 

Die Zauberflöte folgt nicht der Erzählung Terrassons, die auf die Veredelung des aufgeklärten und gerechten Fürsten gerichtet ist. In den letzten Jahren des 18. Jahrhunderts beschwören Schikaneder und Mozart ein gnädiges Menschenbild, das "in diesen heil‘gen Hallen" die Rache nicht kennt, "Und ist ein Mensch gefallen, / Führt Liebe ihn zur Pflicht. / Dann wandelt er an Freundes Hand / Vergnügt und froh ins beßre Land". Diese Arie von Sarastro vorgetragen macht zum Movens der Weltverbesserung nicht den aufgeklärten Fürsten, sondern die Menschenliebe, die auch den Gefallenen durch Liebe wieder zur Pflicht führt. Damit weist die Oper "Die Zauberflöte" zwei Jahre nach der französischen Revolution und ein Jahr nach dem Tode Joseph II., dem letzten großen aufgeklärten Monarchen des Absolutismus auf eine neue Epoche.

 

Nach den Turbulenzen, die die Freimaurerei im 18. Jahrhundert durchleben musste, darf man zu Recht fragen, ob sie sich auf dem Kontinent in ein zweites Jahrhundert ihres Bestehens würde retten können. Eine Legendenbildung, die dem Wunsch folgte, eine neue Ritterschaft zu gründen, die ihre Legitimation aus einer ungebrochenen Tradition, die sich auf die ritterlichen Orden der Kreuzfahrer berief, war entblößt. Eine politische Instrumentalisierung der Freimaurerei durch den Hof der Jakobiten war mehr als offensichtlich. Auch Gold- und Rosenkreuzer suchten in der Freimaurerei Unterschlupf, wo sie zu Teilen auf Zustimmung stießen, und sich Freimaurer zur Goldmacherei anregen ließen wie die beiden Mitglieder der bereits genannten Kasseler Loge Zum gekrönten Löwen, der der Anatom Samuel Thomas Soemmering und der Weltumsegler Georg Forster angehörten. Forster schreibt 1784 an seinen Freund Sömmering: "Zuviel ist‘s, was wir schon erlitten, unser Beutel geschnitten, unsere Zeit verderbt, unsere Denkkraft geschwächt und gelähmt, unser Verstand verarmt, unser Gedächtnis mit unnützem Plunder angefüllt, unsere Grundsätze untergraben und angesteckt."

 

Cagliostro hatte das Seine zur Kompromittierung beigetragen. Die Freimaurerei hatte sich – wenigstens auf dem Kontinent - in Mythen, Okkultismen und in einem System von Kapiteln und Hochgraden, und einer Vielzahl von zu durchlaufenden Erkenntnisstufen, was auch der Wilhemsbader Konvent nicht hatte überwinden können, verlaufen. Aus der ehemals humanitären Freimaurerei war durch Mystizismus und Elitendenken ein kulturell und gesellschaftlich restauratives Projekt geworden.

 

Warum überlebte die Freimaurerei all das? Sie hätte vom Kontinent aus gesehen eine englische Marotte, die sich mit dem Empire auf die Welt ausdehnen sollte, bleiben können: Ein Club von Gentlemen mit extravagenten Bräuchen, wie der hoch ritualisierte Vorgang in einem englischen Club, wo zu einer bestimmten Zeit die Schnupftabakdose herumgereicht wird, aus der schon seit Jahren keiner der Gentlemen eine Prise entnommen hat. Wo althergebrachte Trink- und Tafelsitten geübt werden, wo geheimen Zeichen verbunden mit der Pflege der Erinnerungen an die Konstituierung einer Gesellschaft, in der sich der Monarch und der Bürger auf Augenhöhe gegenüberstehen, zu Hause sind, und wo – wenn auch am Rande - die Erinnerung an eine Zeit der Konstituierung der kritischen Wissenschaften, in die auch die Theologie einbezogen war, lebendig gehalten wird.

 

Die Unzufriedenen und Betrogenen sollten sich aber sammeln. Bereits ein Jahr nach dem Ende des Wihelmsbader Konvents ergriff der Kammergerichtassesor in Wetzlar, Franz Dietrich von Ditfurth (1738-1813), der an dem Konvent teilgenommen hatte, die Initiative. Ausgehend von der Frankfurter Loge Zur Einigkeit fand er bei 53 Logen Zustimmung zu einem Reformprojekt in dem sich schließlich 25 Logen zu einer Großloge, die sich Große Mutterloge des Eklektischen Freimaurerbundes nennen sollte, zusammen. Die Rückkehr zur Einfachheit in den Graden Lehrling, Geselle und Meister wurde die Grundlage dieses Bundes.

 

Friedrich Ludwig Schröder (1744-1816) setzte sich in Hamburg für eine Reform der Freimaurerei ein. Er entstammte einer reisenden Theatertruppe. Sein Vorbild war der Schauspieler und Direktor eines ersten an einem Hof fest engagierten Theaters, Hans Konrad Dietrich Ekhof. Schröder sollte zu der bedeutendsten Theaterpersönlichkeit zum Ende des 18. Jahrhunderts werden. Ab dem Jahr 1776 bis 1779 präsentierte er im eigenen Haus unter seiner Leitung alle 18 Hauptwerke William Shakespeares. 1784 wurde er wurde Mitglied des kaiserlichen Nationaltheaters in Wien, er hatte Erfolge als Theaterdirektor, Dramaturg, Schriftsteller und vor allem als Schauspieler, der es vermochte in einem Jahr 26 Hauptrollen zu übernehmen. Schröder erwarb sich sein Ansehen nicht nur auf der Bühne und als Theaterdirektor, sondern auch als der bedeutendste Reformator der Freimaurerei an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert, Er war 1774 in die Hamburger Loge Emanuel zur Maienblume, die zur Strikten Observanz gehörte, aufgenommen worden. Mehr als zehn Jahre nach seiner Aufnahme nimmt er nach Enttäuschungen seine freimaurerische Arbeit wieder auf und wird zum Stuhlmeister der Loge Emanuel. Im Weiteren wird er geleitet von seiner Kritik an der deutschen Freimaurerei: „Sobald ich nach meiner Wahl zum Logenmeister für die Mry [Maurerei] warm geworden war, sparte ich weder Mühe noch Geld, mich mit den sogenannten Systemen und allen den Possen, die man unter dem Namen Freymaurerei getrieben hatte, bekannt zu machen.“

 

Auch er führte die Arbeit der Freimaurer wieder auf die drei Grade der englischen humanitären Freimaurerei zurück und warb dafür. Dass das nicht einfach war, kommentierte er mit der Bemerkung: "Die deutschen Maurer wollen betrogen sein, es liegt ein Hang der Mystik in ihnen, der die gesunden Vernunft unterjocht." Im Jahr 1801 begannen die Hamburger Logen und die Loge Zum weißen Pferd in Hannover einem reformierten, dem Selbstverständnis der Aufklärung folgenden Ritual, zu arbeiten. Am 1. November 1802 schrieb Schröder an Johann Gottfried Herder: "Außer den fünf hiesigen Logen arbeiten nun schon die in Rostock, Lübeck, Hannover, H.[annoversch]-Münden, Oldenburg, Braunschweig, Rudolstadt, Hildburghausen, Hildesheim, Nürnberg – nach unseren Ritualien." Herder, den diese Nachricht ein Jahr vor seinem Tod in Weimar im Jahr 1802 erreichte war 1766 in Riga in die Loge Zum Schwert aufgenommen worden. Er hielt sich später den Logen fern, und begründete dies damit, "daß auch bei diesem Institut" – er meint die Freimaurerei – "ein neuer unserer Zeit gemäßer Geist geweckt und die veralteten Gebräuche neu belebt werden sollten". In einer über vier Jahre andauernden Korrespondenz mit Schröder war er an der Schaffung einer reformierten Freimaurerei beteiligt.

 

Nachdem die Weimarer Loge Anna Amalia nach dem Wilhelmsbader Konvent 25 Jahre geruht hatte, setzte sich Goethe für deren Wiederbelebung auch aus staatsmännischer Verantwortung ein und vermerkt am 31.Dezember 1807: "Als bei dem Eindringen der Franzosen man an mehreren Beispielen gewahr werden konnte, daß sie die Freimaurerei schätzten, an ihr hingen und sich durch dieses Mittel oft besänftigen ließen, so entstand ein algemeiner Wunsch auch in unsern Landen, diesen alten Talismann wieder hervorzusuchen. Ich tat den Vorschlag, die hiesige Loge Anna Amalia zu den drei Rosen … wieder zu beleben." Die Loge solle sich aber dem "sehr vernünftigen Schröderschen System" zuwenden. Auch Serenissimus sei diesem Manne nicht abgeneigt. Die Loge wurde kraft eines Patentes der Hamburger Großloge im Salon des Wittumspalais‘ am 24. Oktober 1808 reaktiviert.

 

Diese vom Eklektischen Bund und von Friedrich Ludwig Schröder hergestellte Ordnung der Logenarbeit sollte zur Grundlage der humanitären Freimaurerei in Deutschland werden, der aber der Zugang nach Preußen versperrt war. Die drei altpreußischen Großlogen, die alle mit Versatzstücken der Strikten Observanz, christlicher Verpflichtung und übergeordneten Kapiteln arbeiteten, waren alleine legitimiert in Preußen Logen zu gründen. Erst am 23. April 1893 konnte vor dem königlichen Oberverwaltungsgericht dieses Privileg gebrochen werden. Drei Jahre danach legitimierte die Großloge von Hamburg eine Loge in Berlin, die den Namen Friedrich Ludwig Schröder annahm.

 

Die ersten Schritte zu der Gründung einer Loge in Fulda, die im Jahr 1809 betrieben wurde, dürfen auf das Jahr 1802 zurückgeführt werden. Als Erbprinz Wilhelm Friedrich von Oranien-Nassau Anfang des Jahres 1802 sich in Paris bemühte, für die auf der linksrheinischen Seite an Frankreich verlorenen Gebiete unter Berufung auf den Frieden von Lunéville angemessen entschädigt zu werden, nutzte der gebildete und ehrgeizige Prinz, wie Gudrun Vögler schreibt, "zu einem wahren Bildungsprogramm. Er besuchte Theater- und Opernaufführungen, interessierte sich für die Meisterwerke der Plastik und der Malerei ebenso für die moderne Architektur."

 

Die Mutter Wilhelm Friedrichs wie auch seine Frau waren preußische Prinzessinnen, Friedrich II. und dessen aufgeklärtes Programm von früher Jugend schon sein Vorbild. Auf seinen späteren Hofarchitekten und Professor am Lyceum in Fulda war Wilhelm Friedrich schon im Jahr 1802 bei seinen Streifzügen durch Paris aufmerksam geworden: den damals 27jährigengen Clemens Wenzeslaus Coudray. Dessen Urgroßvater und Großvater waren Bildhauer, der Vater stand in Diensten des Kurfürsten von Trier mit der Ausführung von Entwürfen und Ausstattung von Innenräumen befasst. Coudray, der seine Ausbildung an der École polytechnique aufs Beste vollenden konnte, wurde im März 1804 von Erbprinz Wilhelm Friedrich nach Fulda berufen, Mitte August erreichte er die Stadt.

 

Am 21 Juni muss er noch in Paris gewesen sein, da ein freimaurerisches Certificat im Besitz des Stadtarchivs Fulda dokumentiert, dass Clement Coudray im Alter von 29 Jahren, gebürtig in Ehrenbreitstein und Mitglied der Loge du point parfait in das souveräne Kapitel Louis de la Martinique des Großorients von Frankreich und seines Großkapitels von Paris aufgenommen worden sei. Die Loge du point parfait, der Coudray schon länger angehört haben muss, war eine der wenigen Logen in Paris, die über die Schreckensherrschaft hinaus bestanden hatten. In den Jahren nach der Revolution etablierte sich in Frankreich wieder das alte Muster einer Freimaurerei, wo über den drei Graden (Lehrling, Geselle Meister) ein Kapitel thronte, in das Coudray erhoben wurde. Mit Coudray kam ein erster von Wilhelm Friedrich für seinen Reformstaat gewonnener Staatsdiener nach Fulda mit einer mehrjährigen freimaurerischen Praxis.

 

Coudrays Werk, das umfangreich von Rolf Bothe 2013 vorgestellt wurde, belegt seine Bedeutung als Architekt des Klassizismus vor allem in seiner Zeit in Weimar ab dem Jahr1816. Für Fulda ist hervorzuheben der Bau des Landkrankenhauses, das in seiner auf die modernsten Erkenntnisse beruhenden Konzepts als Bestandteil des politischen Programms Wilhelm Friedrichs gesehen werden darf. Coudray bleibt in Fulda auch nach der Entmachtung Wilhelm Friedrichs 1806, in den folgenden Jahren bis 1810 untersteht Fulda einer französischen Militärverwaltung.

 

Trotz aller Umbrüche und Krisen der deutschen Freimaurerei war sie aber längst wieder ein ubiquitäres gesellschaftliches und kulturelles Phänomen. Für das Jahr 1809 finden sich auch für Fulda Belege im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz. Diese bezeugen die Bemühungen einer Fuldaer Loge um die Anerkennung durch den Grand Orient de France. Vorerst gründeten sieben Freimaurermeister-Meister die Loge zum Frieden im Morgen von Fulda. Im selben Jahr 1909 werden noch fünf Mitglieder affiliiert und fünf aufgenommen. Damit gehörten der Loge an: der "Präfect des Departements Fulda, in Fulda", ferner ein Domkapitular, ein Probst und Domkapitular, die höheren Beamten der Verwaltung, darunter Coudray. Erster Stuhlmeister wurde "Philipp Anton von Bibra, Präsident des Wahl Collegs in Fulda". Es fällt auf, dass von den sieben Gründungsmitgliedern er der Einzige ist, der nach dem vorliegenden Mitgliederverzeichnis keinem Hochgrad angehört. Von den 26 weiteren bis Mitte 1812 Aufgenommen weist nur noch "Ludwig von Karg", Geheimrat und Polizey-Direktor in Fulda einen vierten Grad aus. Man darf fragen, ob dies Ausdruck einer grundlegenden kulturellen Wende der Freimauerei anzeigt.

 

Quellen über das Fortbestehen der Fuldaer Loge während der Zeit der Zugehörigkeit Fuldas zum Großherzogtum Frankfurt fehlen noch. Den Mitgliedern erschlossen sich aber in diesem größeren Staat neue Perspektiven. Nach dem Zusammenbruch des napoleonischen Imperiums gerät Fulda erst unter österreichische und preußische Verwaltung bis der Wiener Kongress die Aufteilung Fuldas auf Hessen Kassel, Sachsen Weimar-Eisenach und Bayern beschließt. Die Stadt Fulda mit dem größten Landesteil fällt an Kurfürst Wilhelm I. von Hessen, der schon als Landgraf 1794 die Freimaurerei verboten hatte. Die Fuldaer Loge verweigert sich dem "zopfigen" Kassel und löst sich im Januar 1816 auf. Das Schicksal ihrer Mitglieder wird sich in den 1.400 Metern "Logenbestände" verfolgen lassen. Coudray wird von Goethe nach Weimar gerufen und am 3. Januar zum Oberbaudirektor bestellt. Bereits am

2. Juli 1816 wird er in der Weimarer Loge Amalia affiliiert.

 

Wir sind nach einer Wanderung durch das verwirrende freimaurerische Labyrinth des 18. Jahrhunderts, in dem die humanitäre Freimaurerei zwar immer als Bekenntnis beibehalten aber bei genauerem Hinsehen zunehmend marginalisiert wurde, bei der Weimarer Loge Anna Amalia angekommen. Sie hatte sich dank des Kampfes um die Reformierung der Freimaurerei durch Friedrich Ludwig Schröder wieder den Grundsätzen der "Basic Principles", der "Alten Pflichten", zugewandt, die sich die erste Großloge in London und Westminster im Jahr 1723 gegeben hatte. Ich nehme an, dass auch Sie nach unserer Wanderung durch das Labyrinth der Freimaurerei des 18. Jahrhunderts mit seinen vielen Irrlichtern wieder mit Erleichterung am Eingang angekommen sind.

 

Ich danke Ihnen für Ihre Geduld und Aufmerksamkeit … … …

 

Eckard Wörner

 

[1] Der Autor ist Gründungsmitglieder der Johannis-Freimaurerloge zum Frieden – la Paix i. Or. Fulda und seit über 30 Jahren Freimaurer. Seitdem hat er zahlreiche Logenämter wie beispielsweise Meister vom Stuhl oder Redner begleitet.

 

[2] Oberbürgermeister a.D., Vorsitzender des Fuldaer Geschichtsvereins e.V.

 

[3] Leiter des Kulturamtes der Stadt Fulda, Geschäftsführer des Fuldaer Geschichtsvereins e.V.

Auswahl der benutzten Literatur

  • Allgemeines Handbuch der Freimaurerei Lenning‘s Encyklopädie der Freimaurerei, Leipzig 1863
  • Assmann, Jan; Die Zauberflöte, Oper und Mysterium, München, Wien 2005
  • Assmann, Jan; Religio duplex, Ägyptische Mysterien und europäische Aufklärung, Berlin 2010
  • Bauer, Joachim, Gerhard Müller; „Des Maurers Wandeln, es gleicht dem Leben“, Rudolstadt 2000
  • Berger, Joachim, Klaus-Jürgen Grün (Hrsg.); Geheime Gesellschaft, Weimar und die deutsche Freimaurerei, Katalog zur Ausstellung der Stiftung Weimarer Klassik, München 2002
  • Bürgerschaftliche INITIATIVE (Hrsg.); „Wachse hoch Oranien!“, Auf dem Weg zum ersten König der Niederlande: Wilhelm Friedrich Prinz von Oranien-Nassau als regierender deutscher Fürst, 1802 -1806: Fulda + Corvey + Dortmund + Weingarten, Münster 2013
  • Colpe, Carsten, Jens Holzhausen (Hrsg.);Das Corpus Hermeticum Deutsch, Übersetzung, Darstellung und Kommentierung in drei Teilen / im Auftrag der Heidelberger Akademie der Wissenschaften bearbeitet und hrsg. von Carsten Colpe und Jens Holzhausen, Stuttgart-Bad Cannstatt 1997
  • Ebeling, Floria, Christian E. Loeben, (Hrsg.); O Isis und Osiris – Ägyptens Mysterien und die Freimaurerei, Ausstellungskatalog, Rahden/Westf 2017
  • Fenner, Wolfgang; Vom Meister zum Lehrling, Knigge und die Kasseler Freimaurer. In: Adolph Freiherr Knigge in Kassel, Kassel 1996
  • Hessen, Rainer von; Landgraf Carl von Hessen (1744 – 1836), Freimaurer zwischen Aufklärung und Okkultismus. in: Reimar Witt und Heyo Wulf (Hrsg), Landgraf Carl von Hessen 1744 – 1836, Vorträge zu einer Ausstellung, Schleswig 1997
  • Hessen, Rainer von; Der Wilhelmsbader Freimaurerkonvent 1782 – Aufklärung zwischen Vernunft und Offenbarung. in: Dr. Bernd Heidenreich (Hrsg.); Aufklärung in Hessen, Facetten ihrer Geschichte. Wiesbaden 1999
  • Kriemler, Daniel; „Cagliostros Geheimrezepte“. Magistralformeln aus dem Ancien Régime, Basel 2018
  • Lennhoff, Eugen, Oskar Posner; Internationales Freimaurerlexikon, Wien1932
  • Mellor, Alec; Unsere getrennten Brüder die Freimaurer, Graz 1964
  • Pabst, Br. Dennis; Der Einfluss des Rosenkreuzer-Grades auf das herkömmliche Lehrlingsritual. In: TAU II/2018
  • Wernekke, Dr. Hugo; Goethe und die königliche Kunst, Leipzig 1905
  • Maler, Anselm (Hrsg.); Der verrathene Orden der Freymäurer und das offenbarte Geheimnis der Mopsgesellschaft, Reprografischer Nachdruck der Ausgabe Frankfurt und Leipzig 1745, Habichtswald 2000
  • Mozart, Wolfgang; Die Zauberlöte, Oper in zwei Aufzügen, Dichtung von Emanuel Schikaneder, Reclam Universalbibliothek Nr. 2620, Stuttgart
  • Oslo, Allan; Die Freimaurer, Düsseldorf 2002
  • Rathgeber, Christina; Forschungsperspektiven zu dem Gold- und Rosenkreuzer-Orden in Norddeutschland: Ein Überblick, in: Helmut Reinalter (Hrsg), „Auklärung und Geheimgesellschaften: Freimaurer, Illuminaten und Rosenkreuzerr: Ideologie – Struktur und -Wirkungen, Bayreuth 1992
  • Reinalter, Helmut u.a. (Hrsg.); Aktenedition über den Wilhelmsbader Freimaurer-Konvent 1782, Basel 2019
  • Schmidt, Alfred; Entstehungsgeschichte der humanitären Freimaurerei, Leipzig 2014
  • Schröder, Friedrich Ludwig; Ritual des Lehrlingsgrades, Bayreuth 1994
  • Snoek, Jan A.M.; Formen und Inhalte freimaurerischer Rituale, Bayreuth 2017
  • Vögler, Gudrun; Wilhelm Friedrich von Oranien-Nassau, Fürst von Fulda (1802 – 1806) und König Wilhelm I. der Niederlande (1815 -1840), Petersberg 2018
  • William Hogarth 1697–1764, Ausstellungskatalog, Neue Gesellschaft für Bildende Kunst, Berlin 1980